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Ein Marsch für die Selbstbestimmung

Aktualisiert: 8. Okt. 2020

«Ein Marsch für das Leben» hiess es und wurde beworben mit einem Plakat von einem Kind mit Down-Syndrom, das sagt: «Danke, dass ich leben darf.»

Ich informiere mich online über die Bewegung und merke ziemlich schnell, wer dahintersteckt. Mir gefällt gar nicht, was ich zu lesen bekomme. Die Christliche Gemeinschaft propagiert den Entscheid für das Leben und spricht sich bedingungslos gegen die Abtreibung aus.

Damit sind aber auch Schwangerschaften, die zum Beispiel bei sexueller Gewalt entstanden sind, anzunehmen. Es heisst, sie wollen Frauen «richtig» informieren, damit sie die «richtige» Entscheidung treffen. Was das genaue Ziel ist, kann ich nicht ganz herausfinden. Geht es hier um ein Abtreibungsverbot? Und wer sagt was richtig ist? Gott? So verstehe ich das Ganze auf jeden Fall und ich merke, wie sich eine Wut in mir auftut.

Ich möchte als Frau selbst über meinen Körper und somit auch über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden können. Für mich geht es hier um Selbstbestimmung. Mein Körper – meine Entscheidung.

Ich muss zwar zugeben, dass ich nie in dieser Situation war und solch eine Entscheidung treffen musste. Aber ich bin mir sicher, dass falls so eine Situation kommen würde, ich eine Wahl haben und für meine Entscheidung nicht verurteilt werden möchte.

Ich entscheide mich bei der Gegendemo mitzulaufen, um meine Position zu vertreten. Beim nach Hause fahren telefoniere ich mit meiner Mutter und erzähle ihr von der Demonstration und der Thematik. Sie erzählt mir, dass sie vor 15 Jahren eine Abtreibung hatte. Dies in einem Land, in dem Abtreibung illegal ist. Sie erzählt mir, wie mein Vater aus diesem Land flüchten musste und sie mit einer fünfjährigen Tochter – mir – hatte zurückbleiben müssen. Sie erzählt mir, dass sie schwanger war und sie sich nicht vorstellen konnte, das Kind zu behalten, alleine in einem Land, in dem sie sich nicht mehr sicher fühlte. Mein Vater machte einen Arzt ausfindig, der eine Abtreibung ‘schwarz’ durchführen würde – das alles unter enormen Zeitdruck. Einerseits musste er seine Flucht planen, aber auch die Abtreibung seines Kindes organisieren. Meine Mutter hatte sich entschieden und wollte auf keinen Fall warten. Sie konnte sich nämlich nicht vorstellen, das Kind nach der 6. Schwangerschaftswoche abzutreiben. Ich frage sie: «Wieso denn diese 6 Wochen?» Sie sagt mir: «Für mich ist ein Fötus ab der 6. Woche ein Mensch mit einer Seele.» Ich erwische mich, wie ich ihr erklären möchte, wie ein Fötus sicher schon vorher eine Seele hat, merke aber, dass es hier nicht um mich und meine Überzeugungen geht und schweige. Die Abtreibung fand in einer renommierten Arztpraxis statt, bezahlt wurde bar. Ich frage sie, wie es ihr denn heute damit geht und sie antwortet: «Ich war traurig, aber auch froh, diese Entscheidung treffen zu können. Heute geht es mir gut. Ich wollte und konnte es einfach nicht, damals noch ein Kind zu haben.»

Nun habe ich das Gefühl, es noch besser zu verstehen. Die Tatsache, eine Entscheidung für mich, mein Leben und meinen Körper treffen zu können, ist ein Privileg. Ein Privileg, das jedoch keins sein sollte – sondern eine Selbstverständlichkeit.

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