Wir von das da unten freuen uns über mitwirkende Gastautor:innen! Mit dem Blog möchten wir eine Platform bieten, auf der persönliche Erlebnisse, Gedanken sowie Ideen ausgetauscht werden. Es kann gut sein, dass wir von das da unten nicht immer der gleichen Meinung, wie unsere Gastautor:innen sind. Solange die Inhalte jedoch nicht diskriminierend sind oder problematische Anregungen schaffen, begrüssen wir einen offenen Diskurs.
Meine Tante ist eine aufgeklärte, offene und etwas spirituell angehauchte Frau. Man könnte sagen, sie zählt zu den Familienmitgliedern, die, wenn ich jemandem ausserhalb der Familie von ihr erzähle, als etwas schräg angesehen werden kann. Dazu ein Beispiel:
Erst kürzlich erzählte sie uns von einem kleinen Vorfall: Sie war gerade dabei, sich selbst zu befriedigen, als sie sich, von ihrer Lust überwältigt, eine Feuerwerkkapsel in die Vagina steckte. Doch leider verhinderten die in der Vagina vorhandenen Rillen das runde Plastikstück wieder zu entfernen. Sie versuchte alles um es wieder herauszubekommen, doch es schien fest zu stecken. Nach 24 Stunden ging sie zum Frauenarzt, der sie erlöste. Die Geschichte endete damit, dass der zuständige Arzt sie fragte, ob sie das Teil noch brauche. Sie lehnte dankend ab…
In einer Frauenrunderzählte meine Tante uns davon und wir lachten viel über das unglückliche Erlebnis. Sie kann fantastisch erzählen und unterhält uns öfters mit solchen Geschichten. Doch für mich ist sie mehr als eine gute Geschichtenerzählerin. Ich würde behaupten, sie ist einer der Frauen, die mich sehr geprägt haben. Sie hat ihren Teil dazu beigetragen mich aufzuklären, indem sie mich immer wieder zum Denken angeregt und andere Sichtweisen aufgezeigt hat. So liess sie mich im Alter von 16 Jahren das erste Mal daran denken, dass es nicht notwendig ist sich «da unten» zu rasieren, als sie mich fragte:
«Wieso rasiert ihr euch eigentlich da unten? Weisst du, ich habe das Gefühl, dass ihr wieder Mädchen sein möchtet.»
Damals rollte ich mit den Augen und erklärte ihr, dass ich es so schöner finden würde und weniger stinken würde. Eine Aussage, die ich mit meinem heutigen Wissen nicht mehr machen würde.
An einem anderen Tag erzählte sie mir davon, wie sie mit 20 Jahren an einem schamanischen Kurs teilgenommen hatte. In diesem Kurs wurden die Vulven von allen teilnehmenden Frauen* angeschaut und verglichen. Darin erfuhr sie, wie unterschiedlich Vulven sein können. Sie lernte, wie schön es sein kann, sich zu beobachten und wahrzunehmen. Sie entdeckte dort, dass jede/r* eine eigene Sexualität hat, die einem selbst gehört und völlig wertfrei betrachtet werden kann. Auch ihre Beziehung zur Selbstbefriedigung veränderte sich damals. Sie erzählte mir, dass sie ab diesem Zeitpunkt ihre eigene Sexualität entdeckte und einen Schritt in die Unabhängigkeit gemacht hat.
Ich hörte ihr damals gespannt zu und war einerseits fasziniert, andererseits auch etwas erschrocken. Wie kann denn jemand die eigene Vulva betrachten und dann noch die der anderen? Damals war ich noch zu sehr von anderen Denkstrukturen eingenommen und hatte meine eigene Sexualität noch nicht entdeckt.
Wieso erzähle ich euch das?
Ich glaube, dass es einige solcher Figuren im Leben eines jeden Menschen gibt, die für die Aufklärung sehr wichtig sind. Seien es Geschwister, Freund*innen oder eben in meinem Fall eine manchmal etwas schrullige Tante. Ich bin ihr im Nachhinein sehr dankbar für ihre Offenheit und ihren Mut, Tabuisiertes anzusprechen und kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ich hoffe, dass ich meinen Nichten und Neffen irgendwann ebenfalls Denkanstösse und andere Denkstrukturen mitgeben werde, auch wenn sie mich zu Beginn noch belächeln werden. Nahestehende Personen können dazu beitragen, dass junge Menschen offener werden, unterschiedliche Meinungen akzeptieren und sich mit ihrer eigenen Sexualität auseinandersetzen. Lasst uns solche Menschen sein!
Comments