Wir von das da unten freuen uns über mitwirkende Gastautor:innen! Mit dem Blog möchten wir eine Platform bieten, auf der persönliche Erlebnisse, Gedanken sowie Ideen ausgetauscht werden. Es kann gut sein, dass wir von das da unten nicht immer der gleichen Meinung, wie unsere Gastautor:innen sind. Solange die Inhalte jedoch nicht diskriminierend sind oder problematische Anregungen schaffen, begrüssen wir einen offenen Diskurs.
Meine Oma erzählte mir, dass sie im Krieg eine Fehlgeburt erlitten hatte und dass der Arzt sie auf dem Küchentisch ohne Narkose «ausschabte». Als sie stöhnte und laut schrie, meinte er: «Nun sind Sie mal ein bisschen tapferer, gute Frau».
Meine Schwiegermutter berichtete, dass nach ihren Fehlgeburten nur Bachs Musik sie trösten konnte.
Und als meine Gynäkologin keine Herztöne meines Kindes mehr hören konnte und Schmierblutungen einsetzten, kaufte ich vor 23 Jahren auf einem Weihnachtsmarkt drei kleine Engelchen, die ich seitdem in der Weihnachtszeit an unsere Esszimmerlampe hänge.
Doch was ist eigentlich eine Fehlgeburt? Eine Fehlgeburt oder Abort bezeichnet den Verlust einer Schwangerschaft vor Beginn der 24. Schwangerschaftswoche (danach spricht man von einer Frühgeburt). Der Tod des ungeborenen Lebens kann schon kurz nach der Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter auftreten oder erst später. Durch die grossen medizinischen Fortschritte der letzten Jahre, wissen Frauen schon sehr früh, was in ihrem Körper geschieht, wie sich das Kind entwickelt, wie das Herz schlägt, wie gross es ist – oder auch nicht.
Wenn sich ein Fötus nicht weiterentwickelt, also stirbt, kann eine Frau direkt eine Kürettage oder Ausschabung vornehmen lassen oder warten, bis der Körper den Fötus durch eine starke Blutung abstösst. In den vergangenen Jahren entstand der Begriff Sternenkinder für zu früh im Mutterleib verstorbene Kinder.
Soweit die reinen, stark verkürzten Fakten. Doch was passiert in der Seele? Wer redet davon, was eine Frau empfindet, wenn sie erfährt, dass ihre Schwangerschaft vielleicht schon zum wiederholten Mal nicht zum ersehnten Ende geführt werden kann? Wie geht es dem Vater, dem Paar nach einem solchen Verlust?
Leider haben wir in unserer Gesellschaft keine «Kultur» dafür, diese gewichtigen Fragen offen empathisch anzuschauen und zu bearbeiten.
In letzter Zeit haben prominente Frauen wie Meghan Markle öffentlich über ihre Trauer nach einer Fehlgeburt berichtet – nicht alle fanden das gut. Es wurde argumentiert, dass solche intimen, zutiefst persönlichen Dinge nicht in die Öffentlichkeit gehören. Die Mehrheit äusserte sich allerdings positiv: Endlich traue sich eine Frau mit Einfluss, über ihren Kummer zu schreiben.
Abgesehen von den körperlichen Veränderungen nach einer Schwangerschaft und nach einer Fehlgeburt, muss auch die Seele gehört werden. Zuerst war da vielleicht eine Freude, ein ganz neues Fühlen, ein Staunen auch, ein Glück zwischen den werdenden Eltern. Vielleicht haben die Schwangere und ihr/e Partner*in schon den kleinen Punkt auf dem Ultraschallbild gesehen, das Herz ihres Kindes schlagen hören, ein Foto mit nach Hause genommen. Vielleicht auch nicht. Tatsache ist, dass der Unterbruch der Schwangerschaft oft eine seelische Wunde bei den Paaren hinterlässt. Es ist natürlich ganz individuell, wie Paare damit umgehen, und das ist auch gut so. Doch ihren Schmerz, ihre Enttäuschung und ihre Trauer nach aussen zu tragen, dafür entscheiden sich die wenigsten. Dabei kann es sinnvoll und wichtig sein, die Trauer mit anderen Betroffenen zu teilen. Wie heisst es doch so schön: «Geteiltes Leid, halbes Leid». Der Heilungsprozess könnte von anderen mitgetragen und erlebt werden.
So vieles wird heutzutage öffentlich besprochen, diskutiert und hat seinen Stellenwert in der Gesellschaft: Rassismus, soziale Ungerechtigkeit, Impfskepsis etc.
Aber die Mehrheit der betroffenen Frauen und Männer tragen den Verlust ihres ungeborenen Kindes nicht nach aussen, in die Welt, in die sie ihr Kind so gerne entlassen hätten. Woran liegt das? Ist es Scham? Angst, auf Unverständnis oder Ablehnung eines desinteressierten Gegenübers zu treffen?
Ich für meinen Teil habe meine Trauer als zu unwichtig empfunden und mit kaum jemandem darüber gesprochen. Die Leere, die sich ausbreitete, das Unverständnis dem Schicksal gegenüber, diese unbeschreibliche Trauer um einen nicht greifbaren Verlust, darüber habe ich im stillen Kämmerlein geweint. Ich habe nicht einmal meiner Mutter davon erzählt, weil ich fürchtete, sie könnte «falsch» reagieren. Wie schade! Ich würde mir wünschen, dass heute alle Betroffenen frei und geschützt öffentlich über ihre Gefühle sprechen können, sofern sie es denn wollen. Im Internet finden sich auf verschiedenen Foren Selbsthilfegruppen, auch «pro familia» möchte Beteiligte beraten und unterstützen. Ein Anfang scheint gemacht.
Ich hoffe, dass immer mehr Frauen und Männer den Mut und auch die Zuversicht aufbringen, sich öffentlich zu äussern, sich austauschen, sich gegenseitig trösten. Und dass sie sich bewusst werden, wie oft es zu Fehlgeburten kommt. Nur wenn Paare erfahren, wie gross die Zahl derer ist, die gleiches Leid erlebt haben, wird klar: Die nächste Schwangerschaft hat gute Chancen auf einen glücklichen Ausgang.
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